VVN-BdA: Legen Sie doch einfach mal die Verfassung zu Grunde

26. September 2016

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Parteien diskutieren ihr Landtagswahlprogramm 2017

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) in Nordrhein-Westfalen greift in die Diskussion der Parteien über ihr Wahlprogramm zur Landtagswahl 2017 ein. Ohne die parteipolitische Unabhängigkeit aufzugeben, empfiehlt die VVN-BdA: Legen Sie doch einfach mal die Verfassung zu Grunde. Das Grundgesetz besagt, dass die Bundeswehr keine Aufgaben als jene hat, die in der Verfassung ausdrücklich festgelegt sind. Angriffskriege und Auslandseinsätze ohne UNO-Zustimmung gehören dazu ebenso wenig wie militärische Einsätze im Innern. Was ist mit der Wirtschafts- und Sozialordnung?

In den Länderverfassungen und im Grundgesetz ist keinesfalls festgelegt, dass diese Republik nur kapitalistisch sein darf. Vor allem fordert die VVN-BdA die Parteien auf, endlich die friedenspolitische Zurückhaltung im Maßstab eines Bundeslandes aufzugeben. Mit der Entwicklung des Rüstungsexports und dem Ausbau der „Speerspitze“ in Münster sowie der Lufteinsatzzentrale, der Kampfdrohnensteuerung und dem Vereinten Luftkraft- Kompetenzzentrum JAPCC in Kalkar/Uedem ist NRW in den letzten Jahren ins Zentrum der Kriegsvorbereitung, ja Kriegsführung gerückt worden. Die etablierten Parteien verlangen, solche Tatbestände aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Das wäre ein schwerer Fehler. Der Brief an die SPD von NRW, deren Landesparteitag bevorsteht, hat diesen Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

obwohl dazu keine Debatte stattfand, wurde uns erklärt: Nach „langer Debatte“ zum Kampfdrohnenthema sei diese nun beendet. Umfragen besagen keineswegs eine Zustimmung. Die Debatte mag allerdings bei den Kriegsbefürwortern beendet sein.

Und diese wollen nun ab 2019 ran an die neue Kriegsform mit Kampfdrohnen und automatischen Killerrobotern. Im niederrheinischen Kalkar und Uedem werden schon jetzt die Luftwaffenanteile an den Manövern an der russischen Grenze gesteuert. Die Heeresanteile von Münster aus. „Speerspitze“ heißt die dortige Truppe, die inzwischen sogar ständig in Estland eingesetzt wird.

Das Thema ist „aus dem Wahlkampf herauszuhalten“, soweit ein Zitat aus der „Süddeutschen“ (1.9.16). Minister de Maiziere steht Pate: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“

Keine Debatte im Wahlkampf! Machen Sie da bitte nicht mit. Denn Friedenspolitik ist auch Sache der Länder! Sprechen Sie darüber im Wahlkampf, wie der Frieden geschaffen und erhalten werden kann!

Regimechange ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung.

Eine neue Teilstreitkraft soll es ermöglichen, Kriege zu führen und zu gewinnen, ohne dass ein Soldat losmarschiert. Auch in Kalkar und Uedem werden die Cyber- und Drohnenkriege geplant. Sie sollen beispielsweise die Computer, die Strom- und Wasserversorgung in Moskau lahmlegen.

Nordrhein-Westfalen wird zum hauptsächlichen Aufmarschgebiet für sehr aktuell drohende Kriege gemacht. Die SPD-Grüne-Landesregierung hat in der vorletzten Legislaturperiode im Rahmen der Bundeswehrreform sogar darum gebettelt, keine Standorte zu schließen, und sie erreichte, dass Kalkar/Uedem ausgebaut wurde. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. Kalkar ist ein gefährlicher Ort.

Die von uns unterstützte Friedensdemonstration „Keine NATO-Planung neuer Kriege – Keine Werbung fürs Inferno“ gegen die JAPCC-Tagung in Essen findet auch dieses Jahr statt. Am 3. Oktober 2016 wird wieder gegen die Kriegsvorbereitungen in NRW demonstriert.

Wir hoffen, dass Ihre Partei aktiv an dieser Aktion teilnimmt. Außerdem regen wir an, dass sie sich in der Arbeit für den Frieden auch an unserer Landesverfassung orientiert. Artikel 7 der Landesverfassung verlangt die Erziehung „zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung“.

Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr muss gekündigt werden

Der Kooperationsvertrag der Landesregierung mit der Bundeswehr muss gekündigt werden. Die Bundeswehr soll auch nicht in Hochschulen, Schulen, Arbeitsagenturen, Ausbildungsmessen und Jobcentern werben dürfen. Forschung an Hochschulen zu Rüstungszwecken ist zu verbieten, Zivilklauseln an allen Bildungseinrichtungen verbindlich einzuführen.

Landesverfassung vom Volk beschlossen

Kürzlich wurde mit vielen Veranstaltungen der 70. Jahrestag der Gründung von Nordrhein-Westfalen begangen. Wir waren verwundert, dass eines nie zum Thema gemacht wurde. Die Tatsache, dass Nordrhein-Westfalen eine vom Volk beschlossene Landesverfassung hat. Es wurden ganz allgemein viele Worte über dies wunderbare Land gemacht. Dass wir mehr Armut und mehr Arbeitslosigkeit als andere Länder haben, blieb unerwähnt.

Eigentum verpflichtet

Die Landesverfassung wurde nie verwirklicht. Mit ihr wurden jedoch nach 1945 einige Schlussfolgerungen gezogen. Eben weil in der Weimarer Zeit, der großen wirtschaftlichen Krise, das Finanzkapital seine wirtschaftliche Macht missbrauchte, auf Hitler setzte und ihn an die Macht schob, wurde unter anderem der Artikel 14 in das Grundgesetz eingefügt. In ihm heißt es:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“

Und weil es, auch aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit, notwendig ist, für die sozialen Menschenrechte zu wirken, heißt es in der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen im Artikel 24:

„… Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. …“.

Ein Kommentar bezog sich auf die Bedeutung dieses Artikels, die darin bestehe, dass er die Grundkonzeption einer Wirtschafts- und Sozialordnung enthalte, dass er programmatische Weisungen an den Gesetzgeber gebe. Es wird besonders hervorgehoben, dass der Schutz der Arbeitskraft den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes haben muss. Gäbe es einen Interessenkonflikt, so sei die Arbeitskraft als das höhere Gut anzusehen.

Wir verlangen, dass Regierung und Parlamentarier nach dieser Verfassungsbestimmung handeln. Und wir hoffen, dass Sie es im Wahlkampf thematisieren.

Auch für den Verfassungsschutz haben wir an dieser Stelle eine lohnende Aufgabe: Wäre es nicht gut, einmal aufzulisten, welche großen Wirtschaftsvereinigungen gegen diesen Artikel 24 der Landesverfassung verstoßen und somit verfassungsfeindlich handeln? Warum taucht so etwas im Verfassungsschutzbericht nie auf?

Soziale Menschenrechte

Unsere Organisation tritt für die sozialen Menschenrechte ein. Ohne die Durchsetzung der sozialen Menschenrechte ist die wirkliche Nutzung der demokratischen und politischen Rechte nicht möglich.

Von diesen Überlegungen ist auch unser Dokument „Programmatische Eckpunkte“ durchdrungen. Darin zitieren wir u.a. Artikel 27 der Landesverfassung:

  1. Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.
  2. Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten.

Auf der Grundlage dieses Artikels müssen Betriebe wie z.B. Thyssen-Krupp oder Rheinmetall vergesellschaftet und damit ihr mörderisches Wirken beendet werden. Ganz aktuell ist an die IG Farben-Nachfolger zu erinnern. So schließt Bayer gegenwärtig einen Teufelspakt mit einem Konzern der USA, der mit Gefährdung von Umwelt und Gesundheit der Menschen bekannt wurde.

Gegen Erwerbslosigkeit, kommunale Verschuldung, Bildungsnotstand und Begünstigung des Bankkapitals muss die Landesverfassung Richtschnur sein.

Politikverdrossenheit und das Gefühl des „Ausgeliefertseins in die Situation“ könnte durch die Verwirklichung des Artikels 26 der Landesverfassung behoben werden: In ihm

„wird das Recht der Arbeitnehmer auf gleichberechtigte Mitbestimmung bei der Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung anerkannt und gewährleistet“.

Artikel 26 hat den Wortlaut:

„Entsprechend der gemeinsamen Verantwortung und Leistung der Unternehmer und Arbeitnehmer für die Wirtschaft wird das Recht der Arbeitnehmer auf gleichberechtigte Mitbestimmung bei der Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung anerkannt und gewährleistet.“

Verbot der neofaschistischen NPD

Die VVN begrüßt das 2012 endlich ausgesprochene Verbot sogenannter „freier“ und „nationaler“ Kameradschaften. Gleichzeitig fordert die VVN NRW, die Partei „Die Rechte“ als Nachfolgeorganisation der verbotenen Kameradschaften ebenfalls zu verbieten.

Die VVN fordert außerdem entsprechend dem Artikel 139 Grundgesetz das Verbot der neofaschistischen NPD sowie aller anderen faschistischen und rassistischen Parteien. Auch diese Forderung ist bereits in der Landesverfassung, Artikel 32 verankert:

„Vereinigungen und Personen, die es unternehmen, die staatsbürgerlichen Freiheiten zu unterdrücken oder gegen Volk, Land oder Verfassung Gewalt anzuwenden, dürfen sich an Wahlen und Abstimmungen nicht beteiligen“.

Artikel 32 besagt weiter:

„Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen vorliegen, trifft auf Antrag der Landesregierung oder von mindestens fünfzig Abgeordneten des Landtags der Verfassungsgerichtshof“.

In der Flüchtlingspolitik hoffen wir sehr, dass die Bewegung in unserem Land für die in Not geratenen und zu uns kommenden Menschen anhält und dazu die SPD ihren großen Anteil beibehält und nicht auf Obergrenzen setzt. Menschenrechte gelten für alle, und da setzt man keine Obergrenzen.

Wir haben hier nur jene Themen angerissen, die wir für besonders wichtig halten.

Wir hoffen, dass wir in Verbindung bleiben und dass sich eine gute Zusammenarbeit entwickelt. Für Ihren Parteitag wünschen wir Ihnen einen erfolgreichen Verlauf.

Mit solidarischen Grüßen

Falk Mikosch
Landessprecher

Ulrich Sander
Bundessprecher