Gedenkgang der VVN-BdA Düsseldorf am 14.11.2021

20. November 2021

83 Jahre Abschiebung jüdischer Menschen nach Polen – 83 Jahre Pogrom in Düsseldorf – 80 Jahre Deportation nach Minsk

Am 14.11.2021 führt die VVN-BdA Düsseldorf einen Gedenkgang zur Erinnerung an die Opfer der Judenverfolgung und -vernichtung in Düsseldorf durch. Gut 20 Interessierte trafen sich zum Auftakt am Mintropplatz. Im Namen des Düsseldorfer Kreisvorstands begrüßte Gisela Blomberg die Teilnehmer*innen und sprach über die Abschiebung der 441 jüdischen Menschen polnischer Staatsangehörigkeit aus Düsseldorf am 28. Oktober 1938. In verriegelten Eisenbahnwaggons wurden sie an die deutsch-polnische Grenze gebracht und dort ihrem Schicksal überlassen, die Mehrzahl von ihnen wurde unter katastrophalen Bedingungen von den polnischen Behörden interniert.

Diese Vertreibungsaktion bildete den Auslöser für das Attentat des jungen Flüchtlings Herschel Grynszpan – seine Eltern waren auch auf diese Weise verschleppt worden – am 7. November 1938 auf den deutschen Botschaftsangehörigen in Paris, Ernst vom Rath.

Dieses Attentat nahm das Nazi-Regime als gewünschten Anlass für die Reichspogromnacht, in der in Düsseldorf über 500 Einzelhandelsgeschäfte und Wohnungen verwüstet, jüdische Menschen gedemütigt und schwer misshandelt wurden. Mindestens 13 Düsseldorfer*innen überlebten diese Angriffe nicht und die Zahl der Verletzten war sehr groß. Über 120 jüdische Menschen wurden verhaftet, von diesen wurden 82 Männer in das KZ Dachau bei München deportiert. In der Folgezeit fühlten sich viele Menschen in den Suizid getrieben.

Erinnert wurde an die 627 Düsseldorfer*innen, die vor 80 Jahren, d.h. am 10. November 1941, zusammen mit 365 anderen jüdischen Rheinländern in das Ghetto Minsk verschleppt wurden. Nach einem qualvollen Transport wurden sie in einem unwirtlichen Gebiet und bei einer Kälte von minus 26 Grad von prügelnden SS-Kommandos empfangen. Auch an das traurige Schicksal der jüdischen Senior*innen, die nach Theresienstadt deportiert wurden, wurde erinnert.

Gisela Blomberg betonte in ihrer Rede, dass „[d]er faschistische Antisemitismus … als Staatsdoktrin und -praxis mit all seinen Brutalitäten auch der Zurichtung des deutschen Volkes [diente], d.h. seit 1933 wurde dem deutschen Volk auf der einen Seite der Wahn vom Herrenvolk eingeimpft, auf der anderen Seite die antisemitische Lüge vom vorgeblichen ‚bolschewistischen Weltjudentum‘, das danach trachte, die deutsche Herrenrasse zu vernichten. Gesellschaftliche Widersprüche sollten sich nicht im Klassenkampf, sondern im ‚Rassenkampf‘ entladen.

Nicht nur jüdische Menschen wurden zu Feinden der deutschen Herrenrasse erklärt. Die Nazis, denen der Mord an Gegnern und angeblichen Rassefeinden keinerlei Skrupel bereiteten, erklärten auch andere Völker, vor allem die Slawen, die Sinti und Roma und die Menschen des afrikanischen und asiatischen Kontinents zu Untermenschen. Die Bestimmung der Mehrheit der Weltbevölkerung wäre es, vom deutschen Herrenvolk beherrscht und seinen Interessen unterworfen zu sein.“

Im Anschluss an diese Rede wurde Station vor 5 Häusern in der Mintropstraße gemacht. Gedacht wurde der ehemaligen Bewohner*innen, die der „Polenaktion“, der Pogromnacht, der Deportation nach Minsk und später nach Terezin (Theresienstadt) zum Opfer fielen.

Vor jedem Haus wurden Schilder angebracht, die auf das furchtbare Schicksal der ehemaligen Hausbewohner*innen aufmerksam machen. Auch der Stolperstein der Geschwister Rosa und Max Thielen wurde geputzt und eine Kerze und Blumen niedergelegt.

-> PDF der vollständigen Rede von Gisela Blomberg

Mintropstraße 28

In der 1.Etage lebte die Familie Abt, d.h. der Kaufmann Leib Leo Abt, geb. 1890 in Galizien und seine Frau Cilli Abt geb. Walter (geboren 1893 ebenfalls in Galizien) sowie ihre drei Kinder in Düsseldorf geborenen Kinder Anita (1926), Scheindel (1932) und Kläre (1934)

Am 28.10.1938 wurde die ganze Familie in der sogenannten „Polenaktion“ nach Zbaszyn zwangsverschleppt. Die jüngste Tochter Kläre war zu dem Zeitpunkt gerade 4 Jahre alt.

Von Zbasyn wurde die Familie an einen unbekannten Ort deportiert, kein Familienmitglied hat überlebt.

In der 3. Etage lebten der Kaufmann Jakob Löwenstein und seine Frau Marie Löwenstein, geborene Kahn. In der Pogromnacht 1938 verwüstete die SA ihre Wohnung.

Im November 41 erhielten sie den Aufruf zur Deportation und wurden in die Viehhalle des Schlachthofs gebracht. Jakob Löwenstein war 62 Jahre alt und Maria Löwenstein 54 Jahre alt,

Vor 80 Jahren wurden sie am 10.11.1941 wurden sie in das Ghetto Minsk/Weißrussland verschleppt und sind dort zu Tode gekommen.

Mintropstraße 25

In diesem Haus wohnten Jakob Bernhard Baum und seine Frau Regina Baum geb. Kupferblum.Auch sie in der „Polenaktion“ nach Zbasyn abgeschoben, Regina Baum war zu dem Zeitpunkt 58 Jahre alt. Danach verliert sich ihre Spur.

Mintropstraße 15

Stolpersteine für Rosa und Max Thielen

Hier lebten Josef und Anna Thielen mit ihren Kindern Rosa, Max und Marga Esther.

Die Geschwister Rosa, geb. 1923 und Max geb. 1926 hatten die Emigration nach Palästina geplant, deshalb absolvierten sie eine Ausbildung an der damals bekannten jüdischen Gartenbauschule in Ahlem bei Hannover. Zur Emigration kam es nicht und sie kehrten nach Düsseldorf zurück. Rosa arbeite als Hausangestellte Max als Praktikant.

Rosa und Max Thielen wurden in ein „Judenhaus“ in der Teutonenstraße 9 zwangseingewiesen. Von dort wurden auch sie vor 80 Jahren am 10. November 1941 in das Ghetto Minsk / Weißrussland deportiert, Rosa war 18 und Max 15 Jahre alt

Rosas Verlobter, Günther Katzenstein, der die Shoa überlebt hatte, berichtete, dass Rosa Thielen – und vermutlich auch ihr Bruder Max – im März 1943 nach Flucht von Mitgefangenen in einer Strafaktion erschossen wurden. 

Die Eltern Josef und Anna Thielen sowie die jüngere Schwester Marga wurden im November 1943 durch einen Bombenangriff getötet. Anzumerken ist, dass es ab Oktober 1941 eine Bestimmung gab nach der in Luftschutzräumen eine Trennung der jüdischen und der nicht-jüdischen Hausbewohner*innen vorgenommen werden sollte. Es gab auch viele Beispiele, dass jüdischen Hausbewohner*innen der Zutritt zu den Luftschutzkellern seitens der nicht-jüdischen Hausbewohner grundsätzlich verwehrt wurde. Ob dies auch für das Haus Mintropstraße 15 der Fall war, kann heute nicht mehr geklärt werden.

Mintropstraße 7

Hier wohnte im 3. Stock Walter Alexander und seine nichtjüdische Ehefrau Hildegard Alexander geborene Krenkels.

Der kaufmännische Angestellte Walter Alexander war im August 1937 arbeitslos geworden und seine Frau verdiente als selbstständige Schneiderin den Lebensunterhalt.

In der Pogromnacht 1938 wurde die Wohnung verwüstet, die SA warf die gesamte Wohnungseinrichtung vom 3. Stockaus auf die Straße.

Ab August 1939 wurde Alexander Walter zur Zwangsarbeit verpflichtet, bis September 1944 musste in Düsseldorf Aufräum- und Friedhofsarbeiten ausführen. Auch das Ehepaar wurde in das schon erwähnte Judenhaus in der Teutoniastraße9 zwangseingewiesen.

Am 13.01.1943 wurde die Tochter Monika geboren, somit galt die Ehe von Hildegard und Walter Alexander als sogenannte privilegierte Mischehe.

Im September 44 wurde Walter Alexander in das Lennearbeitslager verschleppt, dort musste er unter unmenschlichen Bedingungen in einem unterirdischen Stollen für die Rüstungsindustrie arbeiten. Es ging um die Herstellung eines Jagdflugzeuges für die Luftwaffe, damit war VW unter Ferdinand Porsche beauftragt.

Am 20.02.1945 wurde Walter Alexander von Hannover aus nach Terezin deportiert.

Walter Alexander überlebte und konnte im August 1945 zu seiner Frau und Tochter nach Düsseldorf zurückkehren.

Hier wohnte auch Emmy Lang, ihre Wohnung wurde in der Pogromnacht ebenso wie die Wohnung der Alexanders verwüstet.

Mintropstraße 1

In der 4. Etage wohnte der Vertreter Bernhard Wallach mit seiner Frau Emma Wallach, geborene Simons, und der Tochter Eugene Wallach.

In der Pogromnacht wurde ihre Wohnung wurde völlig zerstört, die Möbel und der gesamte Hausrat wurde auf die Straße geworfen.

Die Tochter Eugene Wallach hat die Shoa überlebt. In einem Brief berichtete sie von der Pogromnacht:

Am 10.November um 10 Uhr kamen sie:

Ich werde immer, solange ich leben werde, die Nazi SA-Horden sehen, wie sie unsere Wohnung verwüsteten und die Möbel aus dem Fenster warfen und auf der Straße in Brand setzen. Unsere ganze Familie sah in jener Nacht die Synagoge in der Kasernenstraße herunterbrennen – die Feuerwehr und die Polizei schauten zu, damit das Feuer nicht auf andere Häuser übergriff. Nach dem Überfall auf unsere Wohnung rannte ich mit meinen 11 Jahren fort, ziellos durch die Düsseldorfer Straßen – den ganzen Tag. Abends lief ich in die Adersstraße, wo die Schwester meiner Mutter und ihr Mann mit ihren beiden Kindern Mira und Werner wohnten…“

Ihre Eltern, Bernhard und Emma Wallach wurden vor 80 Jahren am 10. November 1941 nach Minsk deportiert, sie haben den Holocaust nicht überlebt.

Jonas Simons, der Vater von Emma Wallach, war nach dem Tod seiner Frau Sofie zu seiner Tochter in die Mintropstraße 1. gezogen.

In der Pogromnacht wurde auch sein Zimmer wurde verwüstet und er selbst wurde vom 10. bis zum 11. November in das Polizeigefängnis gebracht.

Ab 1942 lebte er Grafenberger Allee 78-80. Das sich dort befindliche Haus der jüdischen Gemeinde wurde ab 1942 auch als Altenheim für ca. achtzig Senior*innen genutzt.

Von hier aus wurde Jonas Simons: am 21.07.1942 im Alter von 80 Jahren nach Terezin . Im September 1942 wurde er von dort in das Vernichtungslager Treblinka verschleppt. Von da an verlor sich jegliche Spur und Jonas Simons wurde für tot erklärt.

In diesem Haus lebten auch Isidor und Irma Wallach, geborene Grünwald.

Auch sie wurden von den SA Horden überfallen. Die Wohnung wurde völlig zerstört und das gesamte Mobiliar und der Hausrat wurde auf die Straße geworfen.

Elise Szedliskier und ihre 14 jährige Tochter Charlotte

In der „Polenaktion“ am 28. Oktober 1938 wurden Elise Szedliskier und ihre 14 jährige Tochter Charlotte verhaftet und mit der Reichsbahn in verschlossenen Waggons über die deutsch-polnische Grenze abgeschoben.

Elise und Charlotte Szedliskier gehörten zu den wenigen, die von Zbaszyn nach Düsseldorf zurückkehren konnten. Aber dies war nur eine vorübergehende Rettung,

Zusammen mit Ida Schwarz, die auch in diesem Haus wohnte, wurden Elise und Charlotte Szedliskier am 10.11.1941, d.h. vor 80 Jahren, in das Ghetto Minsk deportiert, wo alle drei zu Tode gekommen sind, Charlotte Szedliskier war erst 17.

Familie Spanier:

Hierzu gehörten Adolf und Amalie Spanier, geb. Kaufmann, sowie der Sohn, der Arzt Dr. Fritz Spanier mit seiner Frau Babette Spanier geb. Seideman, und die Zwillinge Ines und Regine.

In der Pogromnacht wurde auch ihre Wohnung überfallen und demoliert.

Ein Jahr später mussten Adolf und Amalie Spanier ihre Wohnung verlassen, sie wurden in ein „Judenhaus“ in der Konkordiastraße 66zwangseingewiesen.

Von dort wurden sie am 21.07.1942 zusammen mit 309 weiteren Düsseldorfer*innen nach Terezin deportiert, die qualvollen Bedingungen im Ghetto führten im Frühjahr 1944 zu ihrem Tod.

Amalie Spanier wurde 73 Jahre alt, Adolf Spanier, er war 4 Jahre jünger, starb mit 69 Jahren. Ihre Leichen wurden im Krematorium von Terezin verbrannt.

Ihr Sohn, Dr. Fritz Spanier, dem im September 1938 seine Approbation als Arzt entzogen worden war, beschloss nach den Ereignissen der Pogromnacht zusammen mit seiner Frau und den Zwillingen Ines und Regine aus Deutschland zu flüchten. Es war ihnen gelungen an Visa für Kuba und Passagen auf dem Schiff „Sankt Louis“ bekommen.

Bekanntlich wurden den Passagieren der Sankt Louis in Kuba verwehrt, an Land zu gehen. Die Familie Spanier gehörten zu den Passagieren, die am Ende der Irrfahrt im Sommer 1939 in den Niederlanden aufgenommen wurden.

Die Familie Spanier wurden in dem Lager Westerbork interniert und Fritz Spanier zum leitenden Häftlingsarzt ernannt. Als Funktionshäftling galt er während der deutschen deutschen Besatzung als unabkömmlich. Dieser Status schützte ihn und seine Familie bis zur Befreiung vor der Deportation in ein Vernichtungslager.

Über die Rolle von Dr. Spanier in Lager Westerbork gibt es widersprüchliche Aussagen, an dieser Stelle möchte soll an unseren verstorben Düsseldorfer Kameraden Werner Stertzenbach erinnert werden.

Werner Stertzenbach, der ebenfalls im Lager Westerbork interniert war, organisierte eine Widerstandsgruppe, der es unter großem Mut gelang, Häftlinge, die kurz vor der Deportation standen, aus dem Lager zu schmuggeln.

Werner Stertzenbach berichtete, dass er bei diesen Aktionen eine wichtige Unterstützung durch Dr. Spanier erfahren habe. Besonders wichtig war, dass Werner Stertzenbach, dem wie jedem Häftling das Telefonieren strengstens verboten war, in dringenden Fällen über Dr. Spanier telefonische Verbindung zu der Widerstandsgruppe unserer Kameradin Alice Stertzenbach in Amsterdam aufgenommen werden konnte. Der Kontakt nach Amsterdam war äußerst wichtig, da eine Flucht aus Westerbork war nurerfolgreich sein konnte, wenn die Unterbringung der Geflüchteten von außerhalb des Lagers organisiert worden war.

Nach der Befreiung kehrte die Familie Spanier nach Düsseldorf zurück und Dr. Spanier eröffnete wieder eine Hausarztpraxis.

Recherche: Gisela Blomberg

Quellen:

  • Hildegard Jakobs,Angela Genger,Angela Kramp (Hg.):Stolpersteine -Stumbling Stones, Düsseldorf,. 2012
  • Bastian Fleermann/ Angela Genger (Hg.): Das Novemberpogrom in 1938 in Düsseldorf, Essen, 2008
  • Bastian Fleermann/ Hildegard Jakobs: Düsseldorfer Deportationen. Massenverschleppung von 1933 bis zur Befreiung 1945, Düsseldorf, 2015
  • Herbert Schmidt: Der Elendsweg der Düsseldorfer Juden. Chronologie des Schreckens 1933 – 1945, Düsseldorf, 2005
  • Joachim Schröder: Erinnerungsort alter Schlachthof.Ausstellungskatalog, Düsseldorf, 2019
  • Bastian Fleermann, Gerd Genger, Hildegard Jakobs, Immo Schatzschneider: Gedenkbuch für die Toten des Pogroms 1938 auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Nordrhein Westfalen, Düsseldorf, 2019