„Kein Heldengedenken für Faschisten“ in Benrath – Redebeitrag der VVN-BdA am 17. November 2019

18. November 2019

Die Rede unseres Kreissprechers bei „Kein Heldengedenken für Faschisten“ in Benrath am 17.11.2019,
Danke an alle UnterstützerInnen!

Liebe FreundInnen!

Der 17. November hieß früher „Heldengedenktag“, heute heißt er „Volkstrauertag“ und wird mit Sonntagsreden an solchen Orten wie diesem begangen.
Wir stehen hier an einem dieser „Gefallenen-Denkmäler“. Die, deren hier zu gedenken sein soll, sind nicht gefallen. Sie wurden im 1. und im zweiten Weltkrieg für den Profit des Kapitals und deutschen Größenwahn verheizt.
Dass gerade an solchen Orten die Anhänger der „Bruderschaft Deutschland“ und andere Schlägertrupps aufmarschieren, um ihre rassistische, ausländerfeindliche, neofaschistische Hetze zu verbreiten, kann nicht wundern. Bei diesen extrem rechten Schlägertrupps, die sich als Beschützer der Bevölkerung aufspielen, handelt es sich selbst nach Einschätzung der Bundesregierung zu großen Teilen um „potentielle“ terroristische Gefährder. Die „Bruderschaft Deutschland“ die Eller unsicher macht,
ist keine Einzelerscheinung. Diese Schlägertrupps nach dem Muster der SA – rechte Hools, Rocker, Neonazis und andere Faschisten – treten derweilen in ganz NRW auf.
Gewaltbereit, zunehmend bewaffnet und untereinander gut vernetzt.

Es ist völlig unverständlich, dass nach den Vorfällen der letzten Monate (die Morde an Lübke, die in Halle usw.) die Zusammenrottungen dieser Truppen weiterhin unter Polizeischutz wie letztlich in Bielefeld und heute Nachmittag in Duisburg überhaupt noch stattfinden dürfen.
Dass heute hier diese Faschisten bisher nicht aufgetaucht sind, dürfte der Wachsamkeit der Düsseldorfer AntifaschistInnen zu verdanken sein, die Neofaschisten seit langer Zeit den Aufenthalt hier recht ungemütlich gemacht haben.

Es stellt sich jedoch hier die Frage, auf welchem Nährboden die äußerst besorgniserregende Entwicklung neofaschistischer Parteien und Gruppen gedeihen konnte? Die sind ja nicht vom Himmel gefallen.
Huch, da sind auf einmal Neofaschisten da. Das wussten wir ja gar nicht. Die waren doch weg. Die gab es doch gar nicht mehr. Wie man/frau sich doch täuschen kann.
Die waren nur „mal eben weg“.

Ein paar persönliche Erfahrungen.
Die erste Erfahrung war: Meine Mutter war „Kriegerwitwe“. Mein Vater war kein Berufssoldat. Er war Wehrpflichtiger und als solcher im Krieg gegen den Bolschewismus im Osten verheizt worden. Ich habe ihn nie kennengelernt. Kennengelernt habe ich den Dank des Vaterlandes. Zweimal ausgebombt und eine „Kriegerwitwenrente“ die gerade ausreichte, um mit mir und meiner Schwester nicht sofort zu verrecken.
Die zweite war: Anfang der 50er-Jahre fanden wir Montags auf dem Klassenschrank in unserer Schulklasse ein gerahmtes Hitlerbild. War wohl von einem der üblichen Treffen der alten NSDAP-Kader an jedem Wochenende liegen geblieben. Der Rektor der Schule – eine Führer-Spätlese (mit Hitler-Schnäuzer, etwas fülliger und lebte noch) wusste von nichts. Es passierte nichts.
Die dritte war: Vor ca. 50 Jahren (in Worten vor fünfzig Jahren) gingen wir mit der Forderung nach einem Verbot der offensichtlich neofaschistischen NPD auf die Straße. Passiert ist nichts. Dieser Faschistenladen agiert nach wie vor ungehindert.

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“. Das ist eine der Schlußzeilen aus dem Epilog des Theaterstücks „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, das Bertolt Brecht als Parabel zum Aufstieg des deutschen Faschismus 1941 im finnischen Exil schrieb. Es spielt bezeichnenderweise im Gangstermilieu Chicagos.
Der deutsche Faschismus hatte nicht die Höhe seiner Verbrechen und schon gar nicht sein Ende erreicht aber Brecht zeichnete bereits ein Bild Nachkriegsdeutschlands, welches in der Realität dann leider Bestätigung fand.

Damit dieser Prozess ungehindert über die Bühne gehen konnte, meinte dann 1951 der erste Kanzler der Bundesrepublik (der in diesen Tagen als Schöpfer des Grundgesetzes gefeiert wurde): „Ich meine, wir sollten jetzt mit der Naziriecherei Schluss machen. Denn verlassen Sie sich darauf: Wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört.“
Der kannte seinen Laden. Der „Alte von Rhöndorf“ brauchte die erfahrenen Nazi-Kader. Ich will hier nicht eine Auflistung der erwähnten Kader vornehmen. Das würde den Umfang eines Telefonbuches ausmachen.

Damit begann die Nachkriegstragödie der Rehabilitierung der Altfaschisten.
Der deutsche Faschismus – der ganz Europa in Schutt und Asche legte – war der Eroberungskrieg des deutschen Großkapitals und der Großbanken. Und diese Täter, die Hitler an die Macht brachten, saßen nach 1945 wieder fest im Sattel.

Der Aufbau der Nachkriegsjustiz, der Politik, der gesamten politischen Administration, der Polizei, der Sicherheitsdienste, der späteren Bundeswehr wurde mit den ehemaligen hunderttausenden erfahrener NSDAP-Kader entwickelt. So sahen dann auch die Ämter aus.
Die Kontinuität der faschistischen Personalien sei nur mit einigen Namen belegt:
Bundeskanzler Kiesinger, Kanzleramtsstaatssekretär Hans Globke, Staatssekretär Prof. Vialon, Minister Oberländer, General Heusinger usw. usf. .Die Liste der Faschisten, deren Karriere nach 1945 auf allen politischen Etagen ungebrochen weiter lief, lässt sich ohne Ende fortsetzten.
Das war der Nährboden für den aktuellen Neofaschismus.

Es gab noch eine „Altlast“ im Grundgesetz, dessen Bestehen gerade mit Glanz und Gloria gefeiert wird. Den Artikel 139, der eindeutig die alliierten Bestimmungen zum Verbot der NSDAP und möglicher Nachfolgeorganisationen und –parteien fordert.
Der wurde nie vom Parlament aufgehoben aber seit 70 Jahren auch nie angewandt. Aber der musste weg!
Dafür war der Schüler des hochkarätigen Nazijuristen Mauntz, der Bundespräsident Roman Herzog, gerade gut genug. Im allgemein gültigen „Grundgesetz-Kommentar Mauntz/Dürig/Herzog“ erklärte Herzog ganz einfach den Artikel 139 für „obsolet“, also für erledigt. Damit entsorgte der Bundespräsident Herzog den elementarsten antifaschistischen Bestandteil des Grundgesetzes auf kaltem Wege und entzog damit dem Parlament eine juristische Möglichkeit, neofaschistischen Parteien legale Mittel politischen Wirkens aus der Hand zu schlagen.
Seitdem agieren neofaschistische Parteien wie die NPD und die AfD unter dem Schutz des Parteienprivilegs und vom Staat finanziert ungehindert und verbreiten ihre Hetzparolen.

Nur ein Beispiel:
Vorläufiger Höhepunkt war der Auftritt des Fraktionsvorsitzenden der AfD Alexander Gauland im Deutschen Bundestag, wo er erklären durfte, Hitler und die Nazis seien nur ein „Vogelschiss“ in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte gewesen?
Dieser „Vogelschiss“ in der Geschichte hat immerhin Deutschland und ganz Europa in ein Trümmerfeld verwandelt und Millionen Menschenopfer gekostet. Dass dieser „Bundestagsabgeordnete“ nicht vom Rednerpult her verhaftet wurde und sich kein Abgeordneter gefunden hat, diesem Faschisten das Maul zu stopfen, wirft ein bezeichnendes Licht auf den politischen Zustand dieses höchsten Gremiums des deutschen Volkes.

Der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, prominentes Mitglied der rechtsradikalen „Werteunion der CDU/CSU“ wie auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck schließen eine Koalition mit den Neofaschisten der AfD in Zukunft nicht generell aus.

Das ist die Antwort an all diejenigen, die heute den Neofaschisten die Vorteile des Parteienprivilegs zubilligen, die mit ihnen koalieren wollen, die nicht bereit sind, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ihnen ihr schmutziges Handwerk zu legen.

Mit tiefer Betroffenheit verließ ich am Jahrestag der Reichspogromnacht die Gedenkveranstaltung im Düsseldorfer Rathaus. Die mahnenden Worte von Dr. Horowitz klingen mir noch im Ohr, der angesichts der zunehmenden rechtsradikalen Ausschreitungen für unsere jüdischen MitbürgerInnen keine sichere Bleibe mehr in unserem Lande sieht.
Allerdings verblüffte mich die Äußerung im Interview des Verwaltungsdirektors der jüdischen Gemeinde Herrn Szentei-Heise gestern (16.11.2019) der Antisemitismus bei den „Linken“ zu verorten suchte. Zitat: „Aber in den vergangenen fünf Jahren ist der Antisemitismus, der Hass auf Juden aus linken, aus rechten und muslimischen Kreisen in die bürgerliche Mitte gerückt“.
Diese Einordnung des Antisemitismus auf „linke Kreise“ halte ich für schon deshalb für grundfalsch, weil ausgerechnet „linke Kreise“ wie „Düsseldorf stellt sich quer“ und andere aktuell und in der Vergangenheit an der Spitze der Aktivitäten gegen Neofaschismus gestanden haben und stehen. Ob Aktionen gegen Neofaschisten wie Pegida, AfD, Bürgerwehren, aktuell gegen die Werteunion der CDU mit ihrem Gast, dem rechtsradikalen ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes Maaßen, standen „Linke“ als Initiatoren und Organisatoren an der Spitze.
Es wäre der Sache gegen rechts dienlich, sich hier über ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen.

Die Herangehensweise an den Kampf gegen Neofaschismus leiten wir aus den Worten des Widerstandskämpfers und KZ-Überlebenden Peter Gingold ab:
“1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitler-Gegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es (…) nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist.
Aber heute haben wir alle diese Erfahrung. Heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“

Jürgen Schuh (für die VVN-BdA Düsseldorf)