Von der Befreiung befreit – oder: Wiedereroberung eines Tages

20. Mai 2015

Forderung nach einem gesetzlichen Feiertag 8. Mai

Von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA | „Ihr aber“, so wandte sich Bert Brecht an die Überlebenden in den gestorbenen Städten, „gedenkt unserer mit Nachsicht“. So einfühlsam teilte sich einer aus der Generation derer mit, die den Faschismus nicht verhindern konnten. Die Überlebenden in den gestorbenen Städten hatten zumeist andere Sorgen als solche Nachsicht zu üben. Sie haben sich kaum im Gedenken geübt, und schon gar nicht gejubelt. In den gestorbenen Städten war kein Platz für Freudentänze, alles lag voll Trümmer.

von der Befreiung befreit

Und heute? An diesem 8. Mai, dem 70. seitdem, gab es zaghafte Ansätze zur Freude und zum Feiern, und zugleich wurde derer gedacht, die vor uns da waren. Und dies fast flächendeckend, und weit mehr als zuvor. Die da feierten und gedachten waren kleine Leute. Und die Oberen? Sie beriefen sich gern auf Ex-Bundespräsident von Weizsäcker, der sich 1985 zum 8. Mai erstmals zu dem Wort „Wir wurden befreit“ durchgerungen hatte. So oft es zitiert wurde, so sehr wurde es zerredet. Am Schluss wurde dann wieder nur vom Tag des Kriegsendes gesprochen, nicht vom Tag der Befreiung. Man hatte sich von der Befreiung befreit.

scharfmacherischer Groß-Historiker

Wie sehr hatten wir gehofft, der Bundestag würde sich zur Forderung nach einem gesetzlichen Feiertag 8. Mai bekennen. Wie sehr hatten wir gewünscht, der 8. Mai würde dieses Jahr so begangen werden wie am 8. Mai 1985. Stattdessen bekamen wir einen Hermann von Treitschke-Verschnitt namens Prof. Heinrich August Winkler als Bundestagsredner serviert. Hatten die Minister Scharping und Fischer 1999 zur Begründung des deutschen Angriffskrieges auf Serbien und Restjugoslawien noch das böse Wort geprägt, zugunsten des „Nie wieder Auschwitz“ dürfe auf das „Nie wieder Krieg“ verzichtet werden, so wollte Winkler nun diese Gemeinheit noch toppen: Wo es Gründe zum Krieg der Deutschen gibt, dürfe Deutschland nicht mit Verweis auf die Nazi-Vergangenheit beiseite stehen und „wegsehen“. Über den Kriegsbeginn 1939 verstieg er sich in seiner „Gedenkrede“ zu der Formulierung: Die ost-mitteleuropäischen Nachbarn seien „Opfer der deutsch-russischen Doppelaggression“ geworden, – somit warnte der scharfmacherische Groß-Historiker vor Verhandlungslösungen mit der russischen Führung.

einzigartig in Zahl und Vielfalt

Doch zum Glück wurde der 8. Mai nicht nur vom Geschehen im Reichstag bestimmt. Die vielen Gedenkveranstaltungen, aber auch Befreiungsfeiern, Zeitzeugengespräche, Soli-Aktionen für Flüchtlinge, Antinazi-Demos und Ausstellungen der

8. Mai 2015 in Düsseldorf

8. Mai 2015 in Düsseldorf

Friedensbewegung waren diesmal einzigartig in Zahl und Vielfalt. Veranstaltet die VVN-BdA in Berlin schon seit Jahren das Fest „Wer nicht feiert, der hat schon verloren“, so gab es in diesem Jahr solche Feiern – initiiert von der VVN-BdA – auch in der alten Bundesrepublik, so z.B. in Dortmund in der Münsterstraße und in Frankfurt auf dem Römerberg.

Für ein friedliches, soziales und demokratisches Europa

Eine Besonderheit ragt hervor: In Bochum regten sich örtliche Gewerkschaften und viele einfache Gewerkschafter und demonstrierten unter dem Motto „Für ein friedliches, soziales und demokratisches Europa“. Es gibt viele Gründe, an die zu

70 Jahrestag der Befreiung - Demo Düsseldorf

70 Jahrestag der Befreiung – Demo Düsseldorf

Unrecht fast vergessenen Traditionen der Gewerkschaftsarbeit der ersten Stunde zu erinnern. So an den 15. April1945, da auf befreitem Territorium die erste Betriebsrätekonferenz nach dem Kriege in Gelsenkirchen-Buer zusammenkam. Es wurde die Gründung einer Einheitsgewerkschaft beschlossen. Oder an das Vertrauensmännertreffen auf dem Hoesch-Hüttenwerk in Dortmund am 27. April 1945. Es wurden „u.a. Fragender Arbeitszeit, der Einstellung zu den bisherigen Vertretern der Nazis sowie Bestrafung derjenigen PG, die sich Mißhandlungen an Kriegsgefangenen usw. haben zuschulden kommen lassen“ behandelt.

Wiederannäherung der Gewerkschafts- und der Friedensbewegung

In Bochum gab es zu diesem 8. Mai die Wiederannäherung der Gewerkschafts- und der Friedensbewegung. Wenn sich Gewerkschaften in den letzten Jahren zur Friedensfrage verhielten, so taten sie es allein für sich. Nun also die Thematisierung der Gemeinsamkeiten: Für Abrüstung und Konversion – auch die IG Metall soll da wieder mitmachen! – und für Lösung internationaler Konflikte durch Verhandlungen. Die gefährliche Lage in der Ukraine wurde thematisiert. Die Jugend soll nicht länger durch Militarisierung bedrängt werden. Viel Zustimmung gab es für den griechischen Redner Giorgos Chondros (Syriza). Er und Horst Schmitthenner (IG Metall) wie auch der Bochumer DGB-Vorsitzende Jochen Marquard sahen in dem Kampf der griechischen Linkskräfte, auch der neuen Regierung, gegen das Spardiktat Deutschlands und der EU einen wichtigen Beitrag für die Werktätigen ganz Europas. Was den Menschen in Griechenland angetan werde, das drohe auch danach allen in den Ländern der EU. Internationale Solidarität – auch das war die Losung dieses 8. Mai. Und für den Tag der Befreiung als anerkannter Feiertag wird weiter gestritten.